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Wieviel fehlt?
Autor: pumok 03.09.18 - 14:09
Klar geht das mit einem Stahlseil nicht, ein Kohlefaserseil hat jedoch eine Reisslänge von 350 km. Auf den 1. Blick fehlt da immer noch Faktor 10 um nur mal das Eigengewicht tragen zu können, aber die Erdbeschleunigung nimmt mit zunehmendem Abstand ja ab.
Wieviel fehlt also wirklich? -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: Aluz 03.09.18 - 15:05
pumok schrieb:
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> Klar geht das mit einem Stahlseil nicht, ein Kohlefaserseil hat jedoch eine
> Reisslänge von 350 km. Auf den 1. Blick fehlt da immer noch Faktor 10 um
> nur mal das Eigengewicht tragen zu können, aber die Erdbeschleunigung nimmt
> mit zunehmendem Abstand ja ab.
> Wieviel fehlt also wirklich?
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/04/Erdgvarp.png
Die Erdanziehungskraft nimmt tatsaechlich sehr sehr langsam ab. In 350km Hoehe herrschen immer noch rund 90% der Anziehung wie an der Oberflaeche. Die dazugewonnene entgegenwirkende Fliehkraft ist hier auch noch nicht so Stark um dort einen grossen Unterschied zu machen, da der Zyklus fuer einen Orbit ja 24h sein muss.
Kohlefaser hat 350km, ja, aber Carbon Nanotubes kommen da schon auf mindestens 4700km, koennen wohl aber auch staerker sein. Warum der Wert auf Wikipedia variabel angegeben wird ist mir nicht bekannt. Hier die Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rei%C3%9Fl%C3%A4nge
Es wird wohl darauf hinaus laufen, dass das Kabel ganz oben Dicker ist und dann immer duenner werden wird. Wie man an einem variabel dicken Kabel eine Gondel befestigen will ist aber auch noch nicht so ganz klar. -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: pumok 03.09.18 - 15:28
Verstehe, danke für die Aufklärung.
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Re: Wieviel fehlt?
Autor: der maik 03.09.18 - 18:40
Die Abschwächung der Erdanziehung ist gar nicht der entscheidende Faktor. Wichtiger ist, dass mit zunehmender Höhe auch die Fliehkraft größer wird.
Überschlagen wir das mal kurz:
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Konstanten:
Winkelgeschwindigkeit durch Erdrotation: omega=2 pi/(24 h)
Masse Erde: m2=5.974*10^24 kg
Gravitationskonstante: 6.674*10^11 m^3/(kg s^2)
Dichte (sagen wir von einer Kohlenstofffaser): rho=1.6 g/cm^3 (sagt Wikipedia)
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Formeln:
Fliehkraft: Fl=m1 omega^2 r
Gravitation: Fg= G m1 m2/r^2
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Rechnung:
Geschickterweise ersetzt man die (unbekannte) Masse der Kohlenstofffaser durch die Dichte:
m1 -> rho A s; mit s, der Länge der Faser
Hat man Fliehkraft und Gravitation so abgeändert, teilt man sie durch A s.
Damit ergeben sich jeweils die Kraftdichten:
FgKraftdichte(r)=6.379*10^17 kg/(r^2 s^2)
bzw.
FlKraftdichte(r)=8.462*10^-6 r kg/(m^3 s^2)
Da beide Kräfte gegeneinander wirken, interessiert uns:
Fgesamt(r)=FgKraftdichte(r)-FlKraftdichte(r)
Diese Formel beschreibt die Kraftdichte auf jeden einzelnen Punkt des Auszugsseils (in der Höhe r).
Naturgemäß ist die Kraftdichte am Erdboden groß, da die Gravitation stark wirkt, die Zentrifugalkraft aber kaum. Nach oben hin wird sie kleiner, bis sich bei 36000km beide Kräfte aufheben und Fgesamt(Erdradius+36000km) Null wird.
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Beantwortung der Frage:
Das Integral Fgesamt(r) von der Erdoberfläche bis zu einer bestimmten Höhe gibt an, wie zugfest das Seil an dieser Stelle sein muss. Dieser Wert nimmt mit zunehmender Höhe zu und läuft auf Höhe des geostationären Orbits asymptotisch in einen Grenzwert, der bei ca. 7.77 * 10^10 kg/m s^2 liegt. Oder anders ausgedrückt: 7.77*10^10 Pascal.
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Vergleich mit UMS-Kohlenstofffasern:
Vergleichen wir das mit den Angaben zu Kohlenstofffasern (in Wikipedia: 4.46*10^9 Pa), so gelangen wir zu dem Schluss, dass wir mit einem Faktor 17 an Verbesserung an den Bau eines Aufzugs denken können.
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p.s. Bevor du ihn baust, bitte kurz nachrechnen. Ich hab's nur überschlagen.
1 mal bearbeitet, zuletzt am 03.09.18 18:42 durch der maik. -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: Aluz 04.09.18 - 09:18
@der maik
Vielen Dank fuer die ausfuehrliche Rechnung, interessant das mal zu sehen. :) -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: pumok 04.09.18 - 10:54
Vielen Dank!!
Spannend, es fehlt noch viel, aber es scheint mir mit neuen Materialien in Zukunft nicht unmöglich zu sein. -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: whgreiner 05.09.18 - 09:55
"Vergleichen wir das mit den Angaben zu Kohlenstofffasern (in Wikipedia: 4.46*10^9 Pa), so gelangen wir zu dem Schluss, dass wir mit einem Faktor 17 an Verbesserung an den Bau eines Aufzugs denken können."
Einen Werkstoff mit 17 mal so hoher Festigkeit, wie sie Nano-Kohlefasern THEORETISCH haben können, müßte man erst mal finden. In der Praxis braucht man dann sogar mindestens Faktor 20, als Sicherheit für Fertigungsfehler, atmosphärische Belastungen, Materialalterung, Schutz des Seils vor Umwelteinflüssen usw. Für die Nutzlast muß man dann wiederum zusätzliche Reserven einplanen - und nicht bloß für die Nutzlast, sondern vor allem auch für die Energie, die auch an einem Seil nötig ist, um die Nutzlast 1.) vom Boden bis zum geostationären Orbit zu heben und 2.) sie quer zum Seil auf die Umlaufgeschwindigkeit des geostationären Orbits zu beschleunigen, weil sie sonst das ganze System aus der Balance wirft.
Von diesem Wunderwerkstoff bräuchte man dann auch noch gigantische Mengen; er müßte also ausgesprochen billig zu produzieren und zu verarbeiten sein, um die Baukosten bezahlbar zu halten.
Wenn Ihr mich fragt: die nächsten hundert Jahre wird das ganz sicher nix; und ob es überhaupt jemals in den Bereich des Möglichen kommt, steht in den Sternen. -
Re: Wieviel fehlt?
Autor: whgreiner 05.09.18 - 10:09
Und gleich noch eine Ergänzung gegen allzuviel Optimismus: bevor man so ein Seil nutzen könnte, müßte es ja mit seinem ganzen, enormen Gewicht + nötigem Gegengewicht (selbst bei dem nötigen, superleichten Wundermaterial reden wir da vermutlich von Millionen Tonnen) mit einer herkömmlichen Rakete in Position gebracht werden. Schon allein daran wird's scheitern.
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Re: Wieviel fehlt?
Autor: Dave_Kalama 17.09.18 - 10:25
whgreiner schrieb:
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> "Vergleichen wir das mit den Angaben zu Kohlenstofffasern (in Wikipedia:
> 4.46*10^9 Pa), so gelangen wir zu dem Schluss, dass wir mit einem Faktor 17
> an Verbesserung an den Bau eines Aufzugs denken können."
>
> Einen Werkstoff mit 17 mal so hoher Festigkeit, wie sie Nano-Kohlefasern
> THEORETISCH haben können, müßte man erst mal finden. In der Praxis braucht
> man dann sogar mindestens Faktor 20, als Sicherheit für Fertigungsfehler,
> atmosphärische Belastungen, Materialalterung, Schutz des Seils vor
> Umwelteinflüssen usw. Für die Nutzlast muß man dann wiederum zusätzliche
> Reserven einplanen - und nicht bloß für die Nutzlast, sondern vor allem
> auch für die Energie, die auch an einem Seil nötig ist, um die Nutzlast 1.)
> vom Boden bis zum geostationären Orbit zu heben und 2.) sie quer zum Seil
> auf die Umlaufgeschwindigkeit des geostationären Orbits zu beschleunigen,
> weil sie sonst das ganze System aus der Balance wirft.
>
> Von diesem Wunderwerkstoff bräuchte man dann auch noch gigantische Mengen;
> er müßte also ausgesprochen billig zu produzieren und zu verarbeiten sein,
> um die Baukosten bezahlbar zu halten.
>
> Wenn Ihr mich fragt: die nächsten hundert Jahre wird das ganz sicher nix;
> und ob es überhaupt jemals in den Bereich des Möglichen kommt, steht in den
> Sternen.
40 000km raufzuckeln? Das Tempo ist das groesste Problem. Kabellifte sind extrem lahm.
Die Material-Menge ist ueberschaubar.
Muss auch nicht aus einem Stueck sein.
Der Lift wird gewoben. Kette,Schuss, Schiffchen.
Die einzelnen Kabelstraenge sind extrem duenn und so kriegst 1000km auf eine Kabelrolle und die wiegen dann auch nur 100kg. Ein Flug bringt ca. 10 000km Kabel rauf.
Jedes Kabel wird 1.4 bis 2.5 Bruchfestigkeit haben und Eigengewicht tragen koennen.
Nutzlast ist der kleinste Gewichtsanteil ueberhaupt. Statt 20t auf einmal, fahren halt nur 100kg oder 20x 100kg pro Fahrt rauf. Das Sicherheitsystem ist ein einfacher Fallschirm.
Die Atmosphaere von 0-15km wird ein Problem. 80 minus kann Carbon und Nanotubes nicht. UV ist auch Mist. Sowas wie Vogeldreck koennt den Lift beenden...
Es gibt eine bessere Loesung die die Probleme umgeht und keine Neuen schafft und auch gleichzeitig neue Moeglichkeiten schafft.